ULRICH HAUG REAKTIONEN
Die Archäologie des Sehens
01. July 2003
Die rätselhafte Wirkung von Ulrich Haugs ausgesprochen poetischen Bildkompositionen fängt bei der scheinbar widersprüchlichen Wahl von Materialien an. Rigide Fundstücke, oft aus Holz, Stein oder Metall, werden mit geschmeidigem Wachs gepaart, während rechtwinklige oder glitterähnliche Elemente sich in zarten Farbfeldern auflösen. Durch eingeritzte Linienzeichnungen wird die kontrastreiche Formensprache weiter ergänzt und vertieft. Ebenso entscheidend ist die Wahl zwischen opakem Bienenwachs und transparentem Parafin, zwischen Pinsel und Spachtel, zwischen groben, geglätteten oder abgekratzten Flächen. Aus diesem vielschichtigen Prozess entstehen antikanmutende Arbeiten, die oft wie Fragmente von Fresken oder Höhlenmalereien wirken. Der Eindruck wird durch die gedämpften Ochre- und Blautöne verstärkt. Einige Arbeiten wären in einem archäologischen Museum keineswegs fehl am Platz. Was hier in der Tat von dem Betrachter verlangt wird, ist eine Art Archäologie des Sehens: der Künstler lädt uns auf eine visuelle Entdeckungsreise ein.
Hierbei hat man aber nie das Gefühl, dass etwas versteckt wurde, sondern vielmehr, dass etwas offenbart wird – im wahrsten Sinne "ans Licht" gebracht. In der Romantik hätte man vielleicht von der Schönheit des Verfalls gesprochen – einer Thematik, die zweifelsohne durch verwitterte Fundstücke und verwischte Farbschichten suggeriert wird, vor allem aber durch die filigran skizzierten Knochen und Gerippe, die als Motive so häufig vorkommen. Hier, laut Haug, bietet der durchsichtig gemachte Körper ein graphisches Komplement zu den transparenten Eigenschaften des Arbeitsmaterials. Damit schließt sich der Künstler an eine Vanitas-Tradition an, die durchaus in Einklang mit der Wahl von Wachs als Arbeitsmaterial gebracht werden kann.
In der Malerei erreichte die "Enkaustik" (eine erwärmte Mischung aus Wachs und Farben) einen kaum zu überbietenden Höhepunkt in den verblüffend realistischen Mumienporträts, die erst in der ägyptischen Oase von Fayum entdeckt wurden. Diese Konterfeien mit den glänzenden Augen entstanden während der römischen Herrschaft und werden aus der Zeit des 1.-4. Jh.n.Chr. datiert. Ihre Zweckbestimmung lag im ägyptischen Grabkult begründet, ihr Stil ist jedoch hellenistisch.
Auch in der Bildhauerei steht Wachs sehr eng in Verbindung mit dem Tod. Zwar tritt die plastische Arbeit in Wachs besonders häufig im Vorbereitungsprozess des Bronzegusses in Erscheinung, doch sind im engeren Sinne nur jene Werke der Wachsbildnerei zuzuordnen, bei denen das Wachs als vollgütiges Gestaltungsmaterial Verwendung findet. In der Antike war das sogenannte "Zeroplastik" fast ausschließlich im Totenkult gebräuchlich. Aufgrund seiner hautähnlichen Farbe und Struktur eignete sich Wachs besonders gut zur Formung von Totenmasken und Ahnenporträts. In der Renaissance und im Barock wurden sogar lebensgroße Porträtbüsten in farbigem Wachs modelliert. Unter den Wachsfiguren-Kabinetten, in denen die Naturnachbildung oft bis zur Sinnestäuschung gesteigert ist, erlangte das von der französischen Wachsmodelleurin Marie Tussaud 1802 in London gegründete Kabinett besondere Berühmtheit. Bevor sie nach England auswanderte, stellte Madam Tussaud in Paris Wachsfiguren von Anführern und Opfern der Revolution her.
Legt man den Schwerpunkt auf die skelettähnlichen Silhouetten in Haugs Werk, so findet man zahlreiche historische Vorläufer, wie z.B. Die Pest, eine minuziös detaillierte, aus Bienenwachs modellierte Todesszenerie von Gaetano Giulio Zumbo aus dem späten 17. Jahrhundert. Es wäre aber irreführend, sich auf diesen morbiden Aspekt des Oeuvres zu konzentrieren, selbst wenn die Kreuzigung auf dramatische Art und Weise thematisiert wird. Haugs Arbeiten beschäftigen sich nicht vorwiegend mit dem mahnenden Geist des Memento mori, dafür ist das Gesamtbild zu leuchtend, zu feierlich. Dass wir aber hier mit einer höchst reflektierten, nachdenklichen, sogar meditativen Ausdrucksform konfrontiert sind, kann nicht geleugnet werden. Und soll nicht: selbst die langwierige, mühsame Arbeitsweise des Künstlers setzt einen Kontrapunkt gegen die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit (und greift dabei, - unweigerlich – einen weiteren Aspekt des tradierten Vanitas-Motifs auf).
Selbst wenn Wachs als traditionelles Arbeitsmaterial mit einer Todesmetaphorik häufig in Verbindung steht, ist das schöpferische Potential des Werkstoffes wesentlich differenzierter. In der Bildhauerei denkt man z.B. an die Bozzetti oder schnelle Skizzen, die als Studien für große Arbeiten (sowie als Grundlage für Verhandlungen zwischen Künstler und Auftraggeber) dienten. Seit der Renaissance haben diese plastischen Entwürfe, häufig aus Wachs geformt, den Rang eigenständiger Kunstwerke erlangt. Vor allem werden sie als Quelle spontaner schöpferischer Äußerungen gesehen, da das schmiegsame Wachs schnell und direkt modelliert werden kann und trägt so die unmittelbare Handschrift des Schöpfers.
Das Material eignet sich besonders zum skizzenhaften Erfassen von Bewegungsmotiven. Der Maler Edgar Degas fertigte Hunderte von solchen Wachsstudien, die in engem Zusammenhang mit seinen Ballettbildern stehen. Nach dem Tod des Künstlers wurden viele Bozzetti in Bronze gegossen und in den Handel gebracht, wobei das Original in seiner zarten Haptik und beinahe "atmenden" Lebhaftigkeit buchstäblich verloren ging. Ein ähnliches Schicksal erlebten die bravourösen Karikaturen aus Wachs, Gips und Ton, die sich der Zeichner Honoré Daumier als Gedächtnishilfe geformt hatte. Es überrascht kaum, dass Kunstsammler die wenigen erhaltenen Wachsstudien von Degas und Daumier besonders schätzen, und nicht allein wegen ihrer Seltenheit.
Der Reiz und die Ausdrucksstärke von Wachs zeigen sich besonders deutlich in den Arbeiten des Italieners Medaro Rosso. Im halbflüssigen Zustand auf einen vorgeformten Gipskern aufgetragen, dient hier das Wachs als Mittel der impressionistischen Entmaterialisierung. Anders als sein geschätzter Kollege Auguste Rodin, den er während eines Studienaufenthaltes 1884-86 in Paris kennenlernte, versuchte Rosso flüchtige Scheindrücke des Alltags festzuhalten. Dafür war Wachs besonders geeignet. Rosso, der mit seiner weich verschwimmenden Formgebung "die Materie vergessen lassen" wollte, übte Einfluss auf zahlreiche Künstler der Moderne. In der Neuzeit ist Wachsbildnerei weitgehend von robusteren Kunststoffen ersetzt worden. Nichtsdestotrotz stehen die hyperrealistischen Figuren des Amerikaners Duane Hanson oder die Giant Babies des Briten Ron Muck eindeutig in diesem althergebrachten Genre.
Ähnlich differenziert ist die Verwendung von Wachs in der Malerei. War die Enkaustik in der Antike und in der Renaissance ein bevorzugtes Mittel für Porträts und Ikonen, danach aber eine zeitlang in Vergessenheit geraten, so wird die Wachsmalerei immer wieder "neu" entdeckt. Wie z.B. in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts von Jasper Johns, der für seine berühmten Flaggen- und Zahlen-Serien Enkaustik einsetzte. Oft wurde die halbtransparente, dickflüssige Farbmasse über kollagiertes Zeitungspapier aufgetragen und die Spuren von Pinsel und Spachtel sichtbar in der Oberfläche gelassen. Auf diese Weise entstand ein reichhaltiges Gefühl von Mehrschichtigkeit und sogar Mehrdeutigkeit, die den scheinbaren Realismus unterminierte. Selbst heute trifft man immer wieder auf die aufwendige Technik: in den Streifenbildern des Amerikaners Ross Bleckner oder in denen des genialen deutschen Malers Markus Linnenbrink.
In einem anderen und sehr entscheidenden Zusammenhang kann man Jasper Johns als Vorläufer für die Arbeitsweise von Ulrich Haug betrachten. Zusammen mit Robert Rauschenberg, seinem Freund und zeitweiligen Ateliergefährten, war Johns ein Pionier der Pop-Ästhetik, die nicht allein populistische Symbole, sondern auch banale Gegenstände für die Kunst vereinnahmte. So greifen die Arbeiten eine zentrale modernistische Strategie auf: die der Assemblage, wobei reale Gegenstände – nicht selten alltägliche Abfälle oder Fundstücke – zu einem reliefartigen Objekt kombiniert werden und beim Betrachter einen veränderten Realitätsbezug hervorrufen. Pablo Picassos Stilleben mit dem Flechtstuhl von 1912, zusammengesetzt aus Öl, Wachstuch und Kordel auf Leinwand, wird oft als Beginn der Tradition zitiert, obwohl der Exil-Russe Vladimir Baranov-Rossiné eine Komposition mit Assemblage-Charakter bereits 1910 im Pariser Salon des Indépendants ausstellte. Fragen der Autorenschaft beiseite, keine andere Technik verkörpert so eindeutig jenen Geist der Einbeziehung, der die Kunst des 20. Jahrhunderts so nachhaltig prägte. Zu den Hauptvertretern der Bewegung gehörten Hans Arp, Francis Picabia, Kurt Schwitters, Jim Dine und Robert Rauschenberg, der seine "ergänzten" Gemälde als "Combine Paintings" beschrieb.
So gesehen erweisen die Arbeiten von Ulrich Haug eine distinguierte Abstammung. Nichtsdestotrotz bleibt seine eigene Handschrift unverkennbar. Die Zusammensetzung der einzelnen Bildelemente, die Oberflächenbehandlung der diversen Wachsschichten, die sparsamen Farbakzentuierungen und die filigranen Zeichnungen ergeben raffinierte Kompositionen von großer poetischer Wirkung. Hier betrachten wir einen Künstler am Anfang seiner Karriere aber gleichzeitig einen, der bereits eine hochentwickelte Formensprache beherrscht. Bemühen wir uns, diese Sprache zu entziffern, schärfen wir den eigenen Blick, fordern wir die Archäologie des Sehens.
Prof. David Galloway ist Kurator und Kunstkritiker. Unter anderem arbeitet er für den „International Herald Tribune und ist Korrespondent für „art news“.
Von 1977 - 78 leitete er das Museum of Contemporary Art in Teheran.
Hierbei hat man aber nie das Gefühl, dass etwas versteckt wurde, sondern vielmehr, dass etwas offenbart wird – im wahrsten Sinne "ans Licht" gebracht. In der Romantik hätte man vielleicht von der Schönheit des Verfalls gesprochen – einer Thematik, die zweifelsohne durch verwitterte Fundstücke und verwischte Farbschichten suggeriert wird, vor allem aber durch die filigran skizzierten Knochen und Gerippe, die als Motive so häufig vorkommen. Hier, laut Haug, bietet der durchsichtig gemachte Körper ein graphisches Komplement zu den transparenten Eigenschaften des Arbeitsmaterials. Damit schließt sich der Künstler an eine Vanitas-Tradition an, die durchaus in Einklang mit der Wahl von Wachs als Arbeitsmaterial gebracht werden kann.
In der Malerei erreichte die "Enkaustik" (eine erwärmte Mischung aus Wachs und Farben) einen kaum zu überbietenden Höhepunkt in den verblüffend realistischen Mumienporträts, die erst in der ägyptischen Oase von Fayum entdeckt wurden. Diese Konterfeien mit den glänzenden Augen entstanden während der römischen Herrschaft und werden aus der Zeit des 1.-4. Jh.n.Chr. datiert. Ihre Zweckbestimmung lag im ägyptischen Grabkult begründet, ihr Stil ist jedoch hellenistisch.
Auch in der Bildhauerei steht Wachs sehr eng in Verbindung mit dem Tod. Zwar tritt die plastische Arbeit in Wachs besonders häufig im Vorbereitungsprozess des Bronzegusses in Erscheinung, doch sind im engeren Sinne nur jene Werke der Wachsbildnerei zuzuordnen, bei denen das Wachs als vollgütiges Gestaltungsmaterial Verwendung findet. In der Antike war das sogenannte "Zeroplastik" fast ausschließlich im Totenkult gebräuchlich. Aufgrund seiner hautähnlichen Farbe und Struktur eignete sich Wachs besonders gut zur Formung von Totenmasken und Ahnenporträts. In der Renaissance und im Barock wurden sogar lebensgroße Porträtbüsten in farbigem Wachs modelliert. Unter den Wachsfiguren-Kabinetten, in denen die Naturnachbildung oft bis zur Sinnestäuschung gesteigert ist, erlangte das von der französischen Wachsmodelleurin Marie Tussaud 1802 in London gegründete Kabinett besondere Berühmtheit. Bevor sie nach England auswanderte, stellte Madam Tussaud in Paris Wachsfiguren von Anführern und Opfern der Revolution her.
Legt man den Schwerpunkt auf die skelettähnlichen Silhouetten in Haugs Werk, so findet man zahlreiche historische Vorläufer, wie z.B. Die Pest, eine minuziös detaillierte, aus Bienenwachs modellierte Todesszenerie von Gaetano Giulio Zumbo aus dem späten 17. Jahrhundert. Es wäre aber irreführend, sich auf diesen morbiden Aspekt des Oeuvres zu konzentrieren, selbst wenn die Kreuzigung auf dramatische Art und Weise thematisiert wird. Haugs Arbeiten beschäftigen sich nicht vorwiegend mit dem mahnenden Geist des Memento mori, dafür ist das Gesamtbild zu leuchtend, zu feierlich. Dass wir aber hier mit einer höchst reflektierten, nachdenklichen, sogar meditativen Ausdrucksform konfrontiert sind, kann nicht geleugnet werden. Und soll nicht: selbst die langwierige, mühsame Arbeitsweise des Künstlers setzt einen Kontrapunkt gegen die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit (und greift dabei, - unweigerlich – einen weiteren Aspekt des tradierten Vanitas-Motifs auf).
Selbst wenn Wachs als traditionelles Arbeitsmaterial mit einer Todesmetaphorik häufig in Verbindung steht, ist das schöpferische Potential des Werkstoffes wesentlich differenzierter. In der Bildhauerei denkt man z.B. an die Bozzetti oder schnelle Skizzen, die als Studien für große Arbeiten (sowie als Grundlage für Verhandlungen zwischen Künstler und Auftraggeber) dienten. Seit der Renaissance haben diese plastischen Entwürfe, häufig aus Wachs geformt, den Rang eigenständiger Kunstwerke erlangt. Vor allem werden sie als Quelle spontaner schöpferischer Äußerungen gesehen, da das schmiegsame Wachs schnell und direkt modelliert werden kann und trägt so die unmittelbare Handschrift des Schöpfers.
Das Material eignet sich besonders zum skizzenhaften Erfassen von Bewegungsmotiven. Der Maler Edgar Degas fertigte Hunderte von solchen Wachsstudien, die in engem Zusammenhang mit seinen Ballettbildern stehen. Nach dem Tod des Künstlers wurden viele Bozzetti in Bronze gegossen und in den Handel gebracht, wobei das Original in seiner zarten Haptik und beinahe "atmenden" Lebhaftigkeit buchstäblich verloren ging. Ein ähnliches Schicksal erlebten die bravourösen Karikaturen aus Wachs, Gips und Ton, die sich der Zeichner Honoré Daumier als Gedächtnishilfe geformt hatte. Es überrascht kaum, dass Kunstsammler die wenigen erhaltenen Wachsstudien von Degas und Daumier besonders schätzen, und nicht allein wegen ihrer Seltenheit.
Der Reiz und die Ausdrucksstärke von Wachs zeigen sich besonders deutlich in den Arbeiten des Italieners Medaro Rosso. Im halbflüssigen Zustand auf einen vorgeformten Gipskern aufgetragen, dient hier das Wachs als Mittel der impressionistischen Entmaterialisierung. Anders als sein geschätzter Kollege Auguste Rodin, den er während eines Studienaufenthaltes 1884-86 in Paris kennenlernte, versuchte Rosso flüchtige Scheindrücke des Alltags festzuhalten. Dafür war Wachs besonders geeignet. Rosso, der mit seiner weich verschwimmenden Formgebung "die Materie vergessen lassen" wollte, übte Einfluss auf zahlreiche Künstler der Moderne. In der Neuzeit ist Wachsbildnerei weitgehend von robusteren Kunststoffen ersetzt worden. Nichtsdestotrotz stehen die hyperrealistischen Figuren des Amerikaners Duane Hanson oder die Giant Babies des Briten Ron Muck eindeutig in diesem althergebrachten Genre.
Ähnlich differenziert ist die Verwendung von Wachs in der Malerei. War die Enkaustik in der Antike und in der Renaissance ein bevorzugtes Mittel für Porträts und Ikonen, danach aber eine zeitlang in Vergessenheit geraten, so wird die Wachsmalerei immer wieder "neu" entdeckt. Wie z.B. in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts von Jasper Johns, der für seine berühmten Flaggen- und Zahlen-Serien Enkaustik einsetzte. Oft wurde die halbtransparente, dickflüssige Farbmasse über kollagiertes Zeitungspapier aufgetragen und die Spuren von Pinsel und Spachtel sichtbar in der Oberfläche gelassen. Auf diese Weise entstand ein reichhaltiges Gefühl von Mehrschichtigkeit und sogar Mehrdeutigkeit, die den scheinbaren Realismus unterminierte. Selbst heute trifft man immer wieder auf die aufwendige Technik: in den Streifenbildern des Amerikaners Ross Bleckner oder in denen des genialen deutschen Malers Markus Linnenbrink.
In einem anderen und sehr entscheidenden Zusammenhang kann man Jasper Johns als Vorläufer für die Arbeitsweise von Ulrich Haug betrachten. Zusammen mit Robert Rauschenberg, seinem Freund und zeitweiligen Ateliergefährten, war Johns ein Pionier der Pop-Ästhetik, die nicht allein populistische Symbole, sondern auch banale Gegenstände für die Kunst vereinnahmte. So greifen die Arbeiten eine zentrale modernistische Strategie auf: die der Assemblage, wobei reale Gegenstände – nicht selten alltägliche Abfälle oder Fundstücke – zu einem reliefartigen Objekt kombiniert werden und beim Betrachter einen veränderten Realitätsbezug hervorrufen. Pablo Picassos Stilleben mit dem Flechtstuhl von 1912, zusammengesetzt aus Öl, Wachstuch und Kordel auf Leinwand, wird oft als Beginn der Tradition zitiert, obwohl der Exil-Russe Vladimir Baranov-Rossiné eine Komposition mit Assemblage-Charakter bereits 1910 im Pariser Salon des Indépendants ausstellte. Fragen der Autorenschaft beiseite, keine andere Technik verkörpert so eindeutig jenen Geist der Einbeziehung, der die Kunst des 20. Jahrhunderts so nachhaltig prägte. Zu den Hauptvertretern der Bewegung gehörten Hans Arp, Francis Picabia, Kurt Schwitters, Jim Dine und Robert Rauschenberg, der seine "ergänzten" Gemälde als "Combine Paintings" beschrieb.
So gesehen erweisen die Arbeiten von Ulrich Haug eine distinguierte Abstammung. Nichtsdestotrotz bleibt seine eigene Handschrift unverkennbar. Die Zusammensetzung der einzelnen Bildelemente, die Oberflächenbehandlung der diversen Wachsschichten, die sparsamen Farbakzentuierungen und die filigranen Zeichnungen ergeben raffinierte Kompositionen von großer poetischer Wirkung. Hier betrachten wir einen Künstler am Anfang seiner Karriere aber gleichzeitig einen, der bereits eine hochentwickelte Formensprache beherrscht. Bemühen wir uns, diese Sprache zu entziffern, schärfen wir den eigenen Blick, fordern wir die Archäologie des Sehens.
Prof. David Galloway ist Kurator und Kunstkritiker. Unter anderem arbeitet er für den „International Herald Tribune und ist Korrespondent für „art news“.
Von 1977 - 78 leitete er das Museum of Contemporary Art in Teheran.